|
Abseitsrevier für Entdecker: Türkische Schwarzmeer-Küste Von Rudolf Gwalter Ein altes Istanbuler Sprichwort sagt, drei Dinge seien schwer zu halten: Ein Holzhaus in Istanbul (weil die Häuser aus Holz dort früher häufig abbrannten), ein Schiff auf dem Schwarzen Meer (weil dort das Wetter oft unberechenbar ist und die Wellen hoch gehen), und drittens eine Frau aus Rumeli (womit Frauen aus Griechenland gemeint waren). Das mit den Holzhäusern und den griechischen Frauen lassen wir mal aussen vor. Wir wollen dagegen prüfen, ob etwa ein Vorurteil gegen den türkischen Teil des Schwarzen Meeres besteht. Skipper Rudolf Gwalter berichtet: Mitte Juni bringen Genaker und raumer Wind unsere SY MOIRA DMM, eine Hallberg-Rassy 43, in rasanter Fahrt nordwärts, wir schlüpfen aus der Ägäis in die Dardanellen. Dicht unter Land profitieren wir vom Neerstrom, weiter draussen hätten wir 4 kn Strom auf die Nase. Die Enge von Çanakkale ist beeindruckend. Im Militärmuseum erleben wir die neueste Geschichte der Türkei und einen Teil der Verdienste von Mustafa Kemal Atatürk hautnah. Von hier aus besuchen wir Troja. Auch diese Stadt hat vor 2000 - 5000 Jahren von der strategisch günstigen Lage am Hellespont profitiert und durch sie gelitten. Während im Vordergrund geistig die Ilias abläuft, passieren im Hintergrund moderne Schiffe die Dardanellen, die bis vor wenigen Jahrzehnten noch ein navigatorisches Problem waren, heute mit Satellitennavigation aber kein Hindernis mehr darstellen. Nach den schroff wirkenden und militärisch bewehrten Dardanellen säumen im Marmarameer sanfte, fruchtbare Hügel das Meer. Viele Hügelzüge könnten im schweizerischen Mittelland liegen. Das Wasser ist nicht mehr dunkelblau, sondern türkis und deutlich weniger salzig, als im Mittelmeer. Die Marmara-Inseln und Erdek laden zum Verweilen und Baden ein, die vorhandenen Quallen sind harmlos. Istanbul ist mehr als nur eine riesige, quirlige Weltstadt. Der Verkehr zu Land und auf dem Wasser ist beeindruckend, und wir selber sind ein mickriges Teilchen davon, das gegen den kräftigen Strom quer durch Istanbul den Bosporus hoch reisen will. Riesige Tanker, Stückgut- und Containerfrachter, Passagierschiffe in allen Grössen, Schnellfähren und Fischer laufen mit uns, queren oder kommen auf. - Nervenkitzel pur! Dazu legt am Morgen der Berufs- und Pendlerverkehr noch etwas an Hektik drauf. MOIRAs Silhouette spiegelt sich in den Fenstern der Häuser, Paläste und Villen am Ufer. Ein grandioses Erlebnis! Das nächste Mal unter Segel! Schliesslich findet jedes Jahr eine Segelregatta statt, die bis weit in den Bosporus hinauf und zurück führt. Am Ausgang des Bosporus zum Schwarzen Meer, bei Poyraz, finden wir einen äusserst attraktiven Ankerplatz. Ruhig, idyllisch, Vollmond und draussen ein nicht endender Strom von Grossschiffen die vorbeiziehen. Dazwischen spielen die Delphine und kommen bis in den Hafen hinein, ein Erlebnis, das uns auf der ganzen Reise täglich begleiten wird. Das Schwarze Meer ist gar nicht schwarz, sondern türkisblau, wenig salzhaltig und leicht trüb. Auf Türkisch heißt es Kara Deniz, wobei kara mit schwarz resp. nördlich und deniz mit Meer zu übersetzen sind. So wurde im Laufe des 17. bis 18. Jahrhunderts in Europa über die wörtliche Übersetzung, die Nordmeer heissen sollte, Schwarzes Meer. Schiessübungen auf unserem Weg nach Osten. Als wir im Hafen von Sile Näheres darüber erfahren wollen, wird uns an Bord des zuständigen Patrouillenbootes zuerst ein Tee serviert, danach erhalten wir genaue und freundliche Auskunft. Amasra ist ein begehrter Bade- und Urlaubsort für Einheimische. Eine abwechslungsreiche pittoreske Altstadt mit schattigen Teegärten am Ufer wird von den Resten eines grimmigen Forts überwacht, dazu warmes Wasser, hohe Berge, die dicht bewaldet sind und bis ans Meer reichen. Dazu häufige Delphinbesuche und Wasserfälle, die sich ins Meer ergiessen. Tagsüber kann es im Juli schon recht warm werden, aber die Nächte sind angenehm kühl. Segeln, wie vor 40 Jahren in Italien, Frankreich oder Spanien, keine Yachten, keine Marina-Ghettos, dafür eine Bevölkerung, die einem einlaufenden Segelboot neugierig zuschaut und beim Anlegen hilft. Die Goldgräberstimmung der türkischen Ägäis- und Mittelmeerküste ist einem bezaubernden Gemisch von Tradition und Moderne gewichen. Traditionelle Handwerke wie Schreiner, Schmiede, Holzbäckereien, Schuhmacher, Schneider blühen noch. Es ist eine Augenweide ihnen zuzuschauen. Daneben trift man Internet-Cafes randvoll mit Teenagern, und überall wir mobil telefoniert. Das Schwarze Meer hat einen ganz besonderen Charme, und den zu entdecken braucht man Zeit und Geduld. Eine gemütliche und flotte Fahrt immer schön nach vorgedachtem Törnfahrplan bleibt eine Illusion. Wind auf die Nase, Strom gegenan und eine eklige teils zwei Meter hohe Kreuzsee sind immer möglich. Etmale über Grund verdoppeln sich dann problemlos durchs Wasser. Von Hafen zu Hafen mussten wir oft mühsam ost- oder westwärts kreuzen. Bei solchen Verhältnissen sind ausgiebige Landausflüge mit Mietauto oder öffentlichem Bus angesagt - einfach zu Erholung. Das Hinterland bietet sehr viel, ein Blick in einen Reiseführer genügt. Die Windrichtung wechselt oft, und schon nach ein paar wenigen Tagen hält ein Mitsegler im Bordbuch fest: "Es war phantastisch für mich, mit dem Genaker an den Hügelhängen der Küste entlang zu gleiten, die Gischt zu hören und die Wogen zu spüren. Es war ein Hochgefühl, das Spiel zwischen MOIRA, dem Wind und dem Seegang zu spüren. Die MOIRA durch die Wellen zu führen, als Kombination zwischen Technik, alter Seemannskunst und dem Herz, das es in die Weite ohne Grenzen zieht". Eregli, ein quirliger Ort mit bedeutender Schwerindustrie, macht von See aus einen eher abweisenden Eindruck. Dieser ändert sich schlagartig im Hafen. Hinter dem schmucken Fischmarkt laden Teegärten zum Verweilen. Zehn Minuten Fussmarsch entlang einer neuen, eleganten Uferpromenade und schon steht man mitten in einem zauberhaften Stadtzentrum mit einem riesigen Markt, wo man alles erhält, was des hungrigen Seglers Herz begehrt. In Cide freut sich der Hafenmeister so sehr ein ausländisches Schiff insanem Hafen zu haben, dass er uns zum Nachtessen einlädt. Vor seiner Versetzung auf diesen Posten sei er in diplomatischen Diensten gewesen. Wind und Wetter aus der falschen Richtung halten uns in Cayhoglu fest. Das Dorf ist im Winter zeitweise mehrere Wochen von elektrischer und terrestrischer Verbindung völlig abgeschnitten und deshalb kaum mehr bewohnt. Die ehemals intensiv gepflegten Gärten verwildern. Seit dem Einzug der Motorisierung und dem Wegzug der ständigen Bevölkerung leben die Esel des Dorfes wild und frei, man hat sie einfach laufen lassen. Wir sind zu Tee aus Rize am Schwarzen Meer und ausgiebigem Gedankenaustausch in eines der traditionellen Holzhäuser eingeladen. Aus diesem alten ehrwürdigen Holzhaus, ohne einen Nagel zusammengefügt, strömt uns viel Stolz, Wärme und Behaglichkeit entgegen. Sinop wiederum blüht und pulsiert inmitten einer wunderbar angelegten Altstadt. Der innertürkische Tourismus hat hier große Bedeutung. Hier unterhielt die NATO seinerzeit einen Horchposten nordwärts gerichtet in die UDSSR. Kaum haben wir an einem türkischen Holzboot längsseits festgemacht, reicht uns dessen Eigner mehrere Teller mit einem wunderbarem Fischeintopf - wir seien bestimmt hungrig nach einem Segeltag bei Windstärke sechs. Muschelfischer am Quai in Catalceytin bereiten uns in ihrer Kombüse zum Mittagessen eine schmackhafte Kostprobe türkischer Muscheln zu. Diese werden von Tauchern geerntet, in Säcke abgepackt und exportiert, bis nach Japan. Samsun ist die grösste türkische Stadt am Schwarzen Meer mit internationalem Flughafen. Der hiesige Yachtclub hat eine neue Hafenanlage mit optimaler Infrastruktur und gutem Restaurant. Auch hier, kaum angekommen werden wir von Seglern zum Nachtessen mit frisch gefangenen Fischen eingeladen. In Samsun werden alle Sinne aktiv: Gerüche und Töne in einer Intensität und Vielfalt, wie wir sie selten erleben. Im September rauschen wir mit NE 4-7 Bf durchs Marmarameer und die Dardanellen nach Südosten.
|