Der Insider


Byzantinisches Wrack am Bosporus gefunden
8.1.2006



Ausgräber haben in einem Vorort von Istanbul alte Hafenanlagen entdeckt. Im Modder liegen Schiffe aus Byzanz.

Beim Bohren einer Tunnelröhre im Stadtteil Yenikapi wurden frühmittelalterliche Docks freigelegt. "Es sind Reste des alten Hafens von Konstantinopel", erklärt der leitende Forscher vom Institute of Nautical Archaeology (INA) in Istanbul. Fünf Wracks wurden bisher gefunden, ein Frachter hatte Weinamphoren an Bord. Viel Geld ist erforderlich, um die Wracks zu heben. Vor allem müsste verhindert werden, dass die im Schlamm sicher gelagerten Holzfunde sich an der Luft in Staub auflösen.

Obwohl die Rümpfe ziemlich verrottet sind, begeistern sie die Fachleute. "Von der byzantinischen Handels- und Kriegsflotte ist nahezu nichts erhalten", erklärt der Seefahrtexperte Ronald Bockius vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz, "nur ganz wenige Wracks wurden bislang entdeckt und untersucht; uns fehlt der große Überblick." Die Forscher würden sich besonders über die Entdeckung einer Dromone freuen, eines der bedeutendsten Militärschiffe des oströmischen Reiches. Eine Dromone war zum Angriff ebenso gut geeignet wie zur Verteidigung. Außerdem wurde sie gegen Piraten eingesetzt. Hunderte dieser schlanken Galeeren kreuzten einst auf dem Mittelmeer. Erhalten ist keine.

Militärisch galt Konstantinopel lange Zeit als uneinnehmbar. Es war die prächtigste Stadt der westlichen Welt, umschlossen von hohen Mauern mit 370 Türmen. Zahlreiche Angriffe und Belagerungen scheiterten an den starken Mauern - und an der Flotte. Zu einer ersten Bewährungsprobe kam es 626 durch eine arabische Flotte. 674 segelten bauchige Daus heran, besetzt mit Rechtgläubigen, die eine neue Religion, den Islam, mit Gewalt nach Europa bringen wollten.

Im Palast auf der Halbinsel neben der Hagia Sophia, der berühmtesten Kirche des Abendlandes, regierte ein Mann, der "unumschränkter Herrscher in Christus" genannt wurde, Christo Autocrator. Er war das Ziel der Araber, sein Reich sollte erobert werden, um den Islam über Ost-Rom zu bringen. Doch dies gelang nicht. Die Flotte der Byzantiner konnte den Belagerungsring der Araber durchbrechen. Dabei setzten sie zum ersten Mal eine neue Waffe ein, das griechische Feuer. Aus Flammenwerfern am Bug der Schiffe, Siphone, wurde es auf die gegnerischen Schiffe versprüht. Es war eine Flüssigkeit, die hölzerne Verteidigungsanlagen mühelos durchbrechen konnten. Bis heute ist die Zusammensetzung des Feuers ungeklärt. Das Sensationelle war, dass sobald die Flüssigkeit mit Wasser in Berührung kam, los ging. Vermutlich enthielt sie Petroleum, Schwefel, Nitrate, Kalk, Knochen - und Urin. Dank des griechischen Feuers war es den Byzantinern im zwei Jahrhunderte lang möglich, die Angriffe der Muselmanen erfolgreich abzuwehren.

Mit den gefundenen Wracks liegen zum ersten Mal Spuren aus dieser Zeit vor. Der Rumpf der Dromone war um 36 Meter lang und etwa viereinhalb Meter breit. Je 50 Ruderer saßen in zwei Etagen übereinander. Das Schiff konnte ein Tempo von sieben Seemeilen pro Stunde (13 km/h) erreichen. Bei einem Gefecht fuhr das Schiff mit seinem gepanzerten Rammsporn in gegnerische Schiff hinein und wurde anschließend geentert. Für Angriffe aus größerer Entfernung gab es an Deck zwei Kampftürme für 30 bis 50 Soldaten; die schossen Brandpfeile auf den Gegner. Aus dem Siphon loderten meterlange Stichflammen. Trotz dieser Erfolge gelang es nicht das Vordringen der Araber entgültig aufzuhalten. Das christliche Abendland geriet mehr und mehr unter Druck.

In Damaskus residierten die machtstrebige Kalifen. 697 ging Karthago verloren, dann Alexandria, die auf Alexander den Großen zurückgehende Hauptstadt Ägyptens. Der oströmische Kaiser rüstete eine Flotte von 500 Dromonen aus und brach in Richtung Nil. Die Seeschlacht war schrecklich, "das Blut der Christen färbte das Wasser rot", berichteten arabische Zeitzeugen aus dem 11. Jahrhundert. Ost-Rom unterlag und war zum ersten Mal angeschlagen.

Nach 820 fielen auch Kreta und Sizilien an die Muselmanen. An den nördlichen Grenzen drängten Petschenegen, Bulgaren und die Russen heran, 907 lagen die Wikinger vor Byzanz. Gleichzeitig wurde die Seeräuberei immer populärer. Korsaren aus dem Orient, aber auch Normannen beherrschten mehr und mehr die Meeresstraßen; Mallorca wurde ein übles Seeräubernest. Kauffahrer aus allen Ecken des Mittelmeeres wagten sich mit ihren Schiffen nur noch militärischen Geleitzügen übers Meer.

Die jetzt in Istanbul gefundenen Wracks stammen aus dieser Zeit des Niedergangs. Erste Untersuchungen ergaben, dass sie zwischen 1000 und 1010 im Hafen versanken. Ob als Folge eines Kampfes oder eines Erdbebens ist nicht ganz sicher. Der Hafen war bereits stark versandet. Die Wassertiefe lag nur noch bei 1,50 Meter. Wahrscheinlich hatten die Byzantiner zu dieser Zeit bereits kein Geld mehr, um den Hafen schiffbar zu halten. Bald darauf verlor Byzanz seine Vorherrschaft durch Bürgerkriege, Steuerausfälle und Belagerungen an Venedig.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass 1202 ein von Venedig ausgerüstetes und vom Dogen Dandolo geführtes Kreuzfahrerheer Konstantinopel eroberte, unter dem Vorwand, die dort bestehenden Thronstreitigkeiten zu klären. Die Kreuzfahrer metzelten die halbe Stadt nieder, plündert und machten sie reif für den Angriff der Osmanen, der 1453 erfolgte. Kaum 8000 Soldaten standen auf den Wehrmauern, als die Osmanen angriffen. Die früher so ruhmreiche Flotte konnte das Blatt nicht mehr wenden: Man hatte sie wegen Geldmangel längst abgeschafft.

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