Der Insider

Das Paradies ist eine Insel...

von Axel Hachenberger, Skipper der Mitsegelyacht MERIDIAN
17.04.2013


Im Winter liegt die Meridian in der sicheren 'Marmaris Yacht Marina' und wir nutzen den Jahreswechsel, den wir gerne in der Türkei verbringen, um einige Instandhaltungsarbeiten auszuführen, aber auch um Ausflüge mit dem Mietwagen in die nähere Umgebung zu unternehmen, wenn uns danach ist und das Wetter günstig dafür erscheint.

An einem solch schönenTag haben wir uns vorgenommen, da das Gute ja bekanntlich so nahe liegt, das Auto stehen zu lassen und die uns als 'Yildiz Adasi' aus der Seekarte bekannte Halbinsel zu erkunden, deren einzige Landverbindung praktisch ausschließlich von der Yacht Marina gebildet wird.
Von See kommend bildet diese Insel ein mächtiges Bollwerk und formt so einen der größten Naturhäfen der Welt, die Bucht von Marmaris.

Gesagt, getan, ein bisschen Wasser und wetterfeste Kleidung in den Rucksack und los geht’s. Die erste Viertelstunde brauchen wir um überhaupt aus der Marina zu gelangen, da wir an einem der hinteren Pontons liegen. Die staubige Verbindungsstraße, die hinter der Marina zur Halbinsel am Hinterhof der Marina vorbeiführt geht schnell in eine gut begehbare Feinschotterpiste über, die offensichtlich auch die vergangenen, mehrtägigen und sintflutartigen Regenfälle gut überstanden hat.

Gleich in der ersten Kurve entdecken wir ein schon etwas rostiges Schild, das uns zweisprachig darauf hinweist, dass wir zweifach geschütztes Gebiet betreten, nämlich der Natur und der Archäologie wegen. Die Sternen-Insel (Yildiz Adasi) wird dort auch als 'Cennet Adasi' bezeichnet, was im englischen als 'Heaven-Island und im deutschen als 'Paradies-Insel' zu übersetzen wäre.
Das alles hört sich sehr vielversprechend an, und als wir weiterlesen, erfahren wir, dass man mit einem Anstieg von ca. einer Stunde zu den geschützten Überresten einer antiken Siedlung gelangen könnte.

Diese spannenden Aussichten vor Augen setzen wir hochmotiviert unsere Wanderung fort, ohne zu ahnen, dass uns noch ein ganz besonderer Leckerbissen erwartet, auf den in der einschlägigen Literatur und den gängigen Führern kein Hinweis zu lesen ist, und in dessen Genuss nur derjenige kommt, der bereit ist, sich auf Schusters Rappen zu begeben, um die nicht offensichtlichen Schätze der Gegend zu entdecken.

Nach einer ganzen Weile stetig leicht ansteigenden Weges auf der Nordseite der Halbinsel zweigt ein steiler Weg hinab zum Hotel 'Club Adaköy' ab, der offensichtlich bei den Regenfällen stark gelitten hat. Wir bleiben jedoch auf der Schotterpiste bis zu einer großen Kreuzung, an der ein Weg inseleinwärts Richtung Süden abzweigt und der mit einem großen Schild 'Nimara Mag˘arasi' sowie 'Cennet Adasi' gekennzeichnet ist.
Ohne Vorstellung, was 'Nimara Magarasi' bedeuten mag, aber immer neugierig folgen wir dem Weg, der uns einen schönen Anstieg beschert, weg von der Küste, die uns bisher immer einen schönen Ausblick auf die Bucht und das gegenüberliegende Marmaris geboten hat, hinein in den dichten Wald aus Kiefern und Lorbeergewächsen, der die gesamte Insel wie ein Teppich bedeckt.
Über tief eingegrabene Fahrspuren des jetzt engen, fast tunnelartigen Weges windet sich der Weg in die Höhe, stetig dem V-förmigen Einschnitt eines Tales folgend, das sich ins Inselinnere ersteckt.

Nach anstrengendem und da ohne Weitblick recht eintönigem Aufstieg weist ein weiteres Schild plötzlich rechtwinklig zum Weg auf einen kleinen Pfad, der sich über Stufen an Felsen vorbei die Böschung emporwindet und mit 'Nimara Magarasi - Giris' im gleichen Stil wie das Hinweisschild an der Kreuzung bezeichnet ist. Für jede Abwechslung dankbar und äußerst gespannt folgen wir dem Hinweis und steigen auf einem gut mit Geländern gesicherten Pfad auf, um nach einer Wendung des Weges plötzlich vor dem riesigen Eingang einer Höhle zu stehen, die sich weit nach außen öffnet. Hinunter führen Stufen, die an einem Zaun enden, der sich auf einer Plattform oberhalb des gut sichtbaren Höhlengrundes befindet.

Staunend steigen wir hinunter in die Öffnung, über uns erstrecken sich nun gewaltige, massive Felsüberhänge, die die Höhlenöffnung bilden und an ihren untersten Spitzen Kalkauswaschungen zeigen, die von der stetigen Tropfenbildung an dieser Stelle übriggeblieben sind. Die Akustik ist wie in einem Dom, was uns eindrucksvoll die vor uns mit ihren Motorrollern eingetroffenen Jugendlichen demonstrieren, als sie ihre Handys an einen kleinen mitgebrachten Lautsprecher anschließen, der die türkische Popmusik zu einer Ode an die herrliche Akustik dieser Naturhöhle macht.

Eine Hinweistafel erläutert die bisherigen Erkenntnisse zur Funktion der Höhle in antiker Zeit, die über viele Jahrhunderte wohl dem Kult der Göttin Leto diente, die als Mutter des Apollon und der Artemis eine sehr mächtige Stellung hatte, es sich also in dieser Zeit um eine heilige Stätte handelte.

Da sich dies nach unserer Auffassung jedoch nicht wirklich gut mit Popmusik verträgt, steigen wir wieder auf und beschäftigen uns mit der dort angebrachten Informationstafel, die, wie wir nun erfahren, vom Museum Marmaris errrichtet wurde, um dieses beeindruckende Natur- und Kulturdenkmal der Öffentlichkeit zu erschließen.

Demnach wurden bei archäologischen Untersuchungen Im Jahre 2007 in der Höhle Funde von Knochen sowie Handwerkszeugen gemacht, die aufgrund ihrer Datierung beweisen, dass die Region um Marmaris, das in antiker Zeit 'Physkos' hieß, weit länger von Menschen bewohnt wurde, als bisher angenommen, nämlich nicht erst seit dem 3. Jahrtausend v.Chr., sondern bereits seit dem 20. Jahrtausend vor Christus. Diese Erkenntnis macht die Höhle von Nimara, was, wie wir jetzt wissen, auf deutsch übersetzt das türkische 'Nimara Magarasi' bedeutet, zu einem einzigartigen Zeugnis, das von hoher Bedeutung für die gesamte Kulturgeschichte des offensichtlich uralten Siedlungsraumes an der Küste Kleinasiens ist.

Sehr beeindruckt und überrascht von diesem unerwarteten Highlight unseres Sonntagsusfluges setzen wir unsere Wanderung fort, um die Akropolis der alten Stadt Nimara zu suchen, die sich auf dem Gipfel der Insel befinden soll.

Nach endlosen Serpentinen und anstrengendem Aufstieg über die steinige Piste öffnet sich endlich das Tal zu einer Lichtung auf einem Sattel, der, nachdem wir auf die andere Seite gelangt sind, einmalige Ausblicke auf die Südküste des Landes eröffnet, die sich vor unseren Augen wie ein Panorama ausbreitet, von der 'verbotenen' Insel Yilancik Adasi vor dem Aksaz Limani, der von der türkischen Marine als Stützpunkt genutzt wird und an der jeder Marmaris-Segler auf dem Weg nach Ekincik schon einmal vorbeigekommen ist, über die Erhebungen vor dem Fethiye-Golf bis hinüber zu den Ausläufern des Taurus mit dem Babadag über Ölüdeniz im Dunst schweift der Blick bis hinüber nach Rhodos, die Marmaris Yacht Marina liegt im schmeichelnden Sonnenlicht wie eine weiße Stadt aus Schiffen 200 Meter unter uns. Wir können uns kaum sattsehen an dieser Schönheit und genießen die Aussicht, klettern zwischen den Felsen herum, laufen über Pflanzenpolster, die vom frischen Grün nur so strotzen, finden natürlich auch die unvermeidlichen Anzeichen der nahen Zivilisation, die unserem Zeitalter einmal seinen Namen geben werden: die Plastikflaschenperiode, aber auch flechtenbewachsene Bäume, die der räuberischen Gottesanbeterin als vollkommene Tarnung dienen, sie sieht aus wie ein Blatt, das von der Baumrinde herunterhängt, und verschmilzt so fast unsichtbar mit ihrer Umgebung. Erst vor dem Kontrast des Himmels werden die Strukturen sichtbar und fördern unser Erstaunen über den Einfallsreichtum der Natur.

Als wir genug gestaunt haben, setzen wir fast widerwillig unsere Tour fort, wollen wir doch immer noch die Akropolis von Nimara besteigen, die uns wie die Erfahrung zeigt, hoffentlich noch schöne Ausblicke bereithält.
Von nun ab geht es über schmale Pfade immer weiter bergan Richtung Westen, befanden wir uns doch fast an der Ostspitze der Insel. Mittlerweile ist der Weg auffallend mit neongrünen Punkten gekennzeichnet, an denen wir uns jetzt, dem ablesbaren Pfad folgend, orientieren.

Schließlich gelangen wir durch den Wald, der von mächtigen Kiefern bestanden ist, ein Felsentor durchquerend auf eine kleine Lichtung, deren Ausgang wir nur aufgrund der von nun ab immer wichtiger werdenden Markierungen erkennen können. Durch das Unterholz, über Felsspalten, labyrinthartig zwischen Riesendominosteinen, über umgestürzte Bäume hinweg und immer steiler werdend windet sich der Pfad durch das unwegsame Gelände, wir haben keine Ahnung wo wir uns befinden und folgen immer nur den strategisch gut gewählten Markierungen, ohne die hier keine Richtung zu erkennen wäre.

Die auf dem Schild eingangs der Insel erwähnte Stunde ist natürlich schon längst vergangen, aber aufgrund bisheriger Erfahrungen mit den türkischen Zeitangaben verwundert uns das nicht wirklich, in der Türkei gilt eben ein wenig anderer Zeitbegriff, der uns, der Diktatur der Stunden-Minuten-Sekunden-Uhr unterworfenen Mitteleuropäer, zuerst einmal sehr befremdlich vorkommt, bis wir nach einiger wohlwollender Betrachtung durchaus die angenehmen und entspannenden Seiten dieser so gänzlich verschiedenen Perspektive begreifen und damit umzugehen lernen. Ungeduld ist dabei ein Fremdwort und wenig zielführend, so dass auch wir uns geduldig auf noch einige Zeit der Kletterei einstellen.

Unsere Geduld wird auch schließlich belohnt, als aus dem Halbdunkel des Waldes unterhalb der Kronen mächtiger Kiefern die ersten behauenen Steine sichtbar werden, die uns die Nähe der antiken Siedlung signalisieren. Endlich erreichen wir die 'Stadtmauer', eine für diese Küste charakteristische Formation aus Zyklopenmauerwerk, die man an allen antiken Stätten wiederfindet, sei es in Knidos, Loryma oder Kaunos, oder, noch naheliegender, dem auf der anderen Seite der Einfahrt zur Bucht von Marmaris auf einem Felsensporn gelegenen Amos, die alle zu den griechischen Siedlungen unter der Herrschaft des alten Königreiches Rhodos gehörten und schon seit der Zeit der Karer, die angeblich aus Kreta stammten, besiedelt sind. Als Zyklopenmauerwerk bezeichnet man dieses, weil die einzelnen Steine so gewaltig sind, dass es aussieht, als ob diese die Jahrtausende überdauernden Mauern nur von den Riesen der griechischen Sage, den Zyklopen, dem geneigten Europäer aus der 'Odyssee' von Homer bekannt (oder einem der unzähligen Hollywoodfilme, die sich dieses klassischen und spektakulären Stoffes angenommen haben und von denen wir alle schon mindestens einen gesehen haben...) erbaut worden sein konnten. Um so größer die Hochachtung vor diesen alten, hoch entwickelten Kulturen, die man gemeinhin als die Wiege Europas bezeichnet.

Schließlich erreichen wir, über die Trümmer der alten Stadt kletternd, den Gipfel des Berges, um den herum die gewaltige Mauer, geschickt die natürlichen Felsformationen ausnutzend, die Bewohner vor jeglichem Zugriff von beutehungrigen Piraten schützend, angelegt ist. Von dort ergeben sich wie erhofft wunderschöne Ausblicke, nach Rhodos hin, auf die andere Seite der Einfahrt zur Bucht auf die Bozburun-Halbinsel mit der antiken Stadt Amos, die Bucht von Turunc, Icmeler, Marmaris und weit hinaus auf das Meer. 415 Meter hoch liegt die Akropolis und ist nur durch ermüdende Fussmärsche zu erreichen, geographisch von der steilen Süd- und Westküste hervorragend geschützt und somit ein sicherer Zufluchtsort für die Erbauer dieser für diese Zeit typischen Zitadelle.

Das moderne Marmaris kennt andere Piraten und Invasoren, vor denen die Geographie und die dicksten Mauern nicht schützen, deswegen hat es sich die Küstenbereiche im Scheitel der Bucht mit den kilometerlangen Sandstränden zu eigen gemacht. Teilweise lockt es diese sogar an, indem es Betonburgen erbaut, deren Tore den Invasoren dann weit geöffnet werden, um sie im Inneren dann um so genüsslicher ausnehmen zu können und nach ein oder zwei Wochen, in denen diese meinen, die Stadt erobert zu haben, mit leeren Taschen dann wieder auf den Heimweg zu schicken. Eine raffinierte Strategie, die zwar nicht jedermanns Sache ist, aber so ist das eben mit der Piraterie. Kein wirklich sauberes Geschäft.

Nun, das sind eben die Gedanken, die einem an solch geschichtsträchtigen und uralten Oren wie der Akropolis von Nimara kommen und deren man sich kaum erwehren kann. Mit dem Abstand zur heutigen Zivilisation auf dem Gipfel der 'Cennet Adasi' ist man dem Himmel ein Stückchen näher und der dort immer vorherrschende Wind tut sein übriges, die Gehirngänge freizublasen.

Nach diesem Geistes-Wellness-Aufenthalt in einsamer Höhe über der grandiosen Bucht von Marmaris machen wir uns wieder an den Abstieg, der uns auf gleichem Weg wieder zurück führt. Wir sind froh, dass es noch hell ist, denn würde man die Markierungen nicht mehr erkennen, wäre die einzige Alternative eine Übernachtung im Schutze der altehrwürdigen Steine bis es am nächsten Morgen wieder hell genug wäre, um die Route zu erkennen. Ein Abstieg durch das Unterholz bei den allgegenwärtigen Gräben und Felskanten wäre im Dunkeln lebensgefährlich.

Endlich erreichen wir wieder gangbare Wege und kommen folgerichtig wieder an der Höhle von Nimara vorbei, beschließen, ihr einen erneuten Besuch abzustatten, in der Hoffnung, dass die fröhlichen Teenager inzwischen andere Stätten für ihre Form der Götterverehrung gefunden haben. Und richtig, wir finden uns in der riesigen Höhle (lt. Tafel hat sie eine Ausdehnung von 60 Metern) alleine wieder und versuchen uns vorzustellen, wie die alten Griechen hier ihre Opfer dargebracht haben, ob sie dazu gesungen haben und wie wohl die unvermeidlichen Priester diese Naturkulisse für eine möglichst eindrucksvolle Darstellung der Macht der gerade verehrten Gottheit genutzt haben könnten. In diesem Falle war das sicher kein Problem, da diese Bühne, mit ein bisschen Flammenzauber, leicht als ehrfurchteinflößend vorstellbar ist.

Über die Hintertreppe, die mit 'Cikis' bezeichnet ist, verlassen wir das ehemalige Heiligtum und sind froh, dass die nun langsam müde werdenden Beine endlich den Weg bergab auf glatterem Untergrund zügig voranschreitend fast von selbst finden, bis wir wieder auf Meeresniveau in der zwar mit allem Komfort ausgestatteten, aber, bis auf die zugegebenermaßen erstaunlichen Anzahl der Schiffe, weit weniger beeindruckenden Marmaris Yacht Marina angekommen sind. Was uns aber keinesfalls daran hindert, nach diesem unverhofft erlebnisreichen und wunderschönen Ausflug unser gewohntes Anlegerbier zu trinken, das seinem Namen ja einem ebenfalls sehr geschichtsträchtigen Ort zu verdanken hat, wodurch sich der (Kultur-)Kreis wieder harmonisch schließt...

Axel Hachenberg, Skipper der MERIDIAN, Web: www.meridian-sailing.de Mail: info@meridian-segeln.de

Tel: +49 151 470 82 710



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