Der Insider


Der Abenteuerer an der türkischen Küste
von Insider


1967 erschien in der YACHT eine 4-teilige Serie von Kuno Steuben unter dem Titel "Vergessene Küste Kleinasien". Heute lebt der Autor in Dalyan südöstlich von Marmaris und erzählt aus alten und neuen Zeiten. Insider hat ihn besucht.


Im Sommer 1956 trainierte er mit seinem Faltboot in der Nordsee und im Frühjahr 1957 fuhr er - das Faltboot im Handgepäck - mit dem Zug nach Izmir. Dort baute er das Boot am Hafen zusammen, schob es ins Wasser und paddelte nach Süden die Küste hinunter. Dem schweren Erdbeben in Fethiye im April 1957 entging er auf dem Meer, setzte sich nach Rhodos ab und paddelte quer über die Ägäis in den Hafen von Piräus. Im Oktober des selben Jahres landete er an Korfus Gestaden. Da die Saison gerade zu Ende ging, verholte er nach Kiruna in Schweden, durchquerte die Eissteppen Lapplands auf Skiern und überstand den Winter an der finnisch-russischen Grenze bei dort lebenden Holzfällern. "Es war eine herrliche Zeit", beteuerte Kuno und schenkte Kaffee nach.

Leider hat er kein Foto aus dieser Zeit, auch nichts mehr von dem, was er damals veröffentlicht hat, um seine Reisen zu finanzieren. "Ich habe nie an die Zukunft gedacht, immer nur im Augenblick gelebt. Auch heute ist das noch so. Anders hätte ich das niemals machen können". Kuno steckte sich eine birinci an. "Wer nur ans Absichern denkt und an das, was alles passieren könnte ist für so ein Leben nicht geschaffen".

Im Frühjahr 1958 heuerte Kuno bei norwegischen Walfängern an. Im Sommer paddelte er mit den Faltboot die Rhone hinunter und durch die Camargue - und übte Meereswellen-Überstehen an der französischen Mittelmeerküste. Im Herbst hatte er plötzlich den Vertrag für eine Expedition an der Küste nahe Marseille in der Tasche, bei der antike Schiffswracks untersucht werden sollten. So lernte er professionelles Tauchen. Dann wurde er Mitglied in einem Filmteam, das eine Unterwasserdokumentation auf den Kanarischen Inseln drehte.

Auf dem Fährschiff von Barcelona zu den Inseln der Glückseligen trifft er Lili - "es war Liebe auf den ersten Blick!", beteuert er. Sie war Mannequin und Fotomodell, er ein gutausehender Abenteuerer und Draufgänger. Wie er es geschafft hat, die verwöhnte junge Dame fürs Leben im Zelt und auf dem Wasser zu gewinnen, will er nicht verraten. "Das ist mein Geheimnis!" Gemeinsam mit Lili durchstöbert er Lanzerote und die anderen Inseln, und erkundet Drehorte für den Film.

Kuno und LillyBevor sie heiraten meldet er sich als Kampfschwimmer bei der Bundesmarine, wird aber als wehruntauglich entlassen, nachdem er sich eine Verletzung der Wirbelsäule zugezogen hat. Kaum ist der "Schaden" ausgeheilt, zieht es ihn nach Äthiopien, mit der Idee im Kopf, ein Buch zu schreiben. Er baut ein Floß und lässt sich auf dem Blauen Nil 300 Kilometer Flussabwärts treiben. "Seit dieser Zeit hasse ich Krokodile, auch wenn sie unter Artenschutz stehen," sagt er und schlägt die erste Seite seines SHANGRILA-Buches auf. "Wir träumen von Krokodilen in den Flüssen Äthiopiens, deren Häute unsere Fahrt finanzieren können." So einen Satz, geschrieben nach dem äthiopischen Abenteuer, könne man heute nicht mehr hinschreiben. Aber damals habe er das ernst gemeint. "Die Viecher haben sich auf mich gestürzt, das Floß schwamm ja halb unter Wasser. Wie oft habe ich mich mit dem Paddel wehren müssen, die Füße eingezogen. Völlig laut- und spritzerlos kommen die angeschossen - brrr!"

Über dieses Abenteuer veröffentlichte Kuno mehrere Reportagen und die Bücher "Zu den Goldquellen der Pharaonen" bei Ullstein und "Alone on the Blue Nile" bei Hale in London. Dann wird geheiratet. Vorher musste Lili jedoch eine Testreise absolvieren. "Stell dir vor die wäre seekrank geworden - dann hätte ich sie ja nicht heiraten können!". Aber Lili bestand den Test mit Bravour. Auf einem 5 Meter langen motorlosen Fischerboot, ziemlich offen, unter Latainsegel, kreuzten Lili und ihr Kapitän auf einer Probehochzeitsreise rund um den Peleponnes.

Ein Jahr später, im Sommer 1961, sollte die richtige Hochzeitsreise folgen. Mit dem gleichen Boot gings von Piräus durch die Ägäis nach Osten zur kleinasiatischen Küste. Auf Kalymnos landeten sie an. Hier tauschten sie das Boot gegen ein doppelt so gro§es ehemaliges Schwammtaucherschiff von 10 Meter Länge, das sie umbauten und auf den Namen "SHANGRILA" tauften. Über dieses Boot heißt es im Buch "Abenteuer mit SHANGRILA":

"Unser Boot ist für uns so etwas wie ein fliegender Teppich, der uns überallhin bringen könnte, überallhin und zu jeder Zeit. Wir träumen, mit diesem Boot um die Welt zu segeln... Doch der Motor ist alt und launisch, die Masten morsch, und die Segel tragen viele Flicken. Deshalb hatten wir uns entschlossen, eine Zeitlang in Bodrum und im Keramikgolf zu bleiben und ein Schild am Bug aufzuhängen: Charter & Safari, Archäologische Forschung, Unterwasserjagd. Wir hofften auf diese Weise genügend Geld zu verdienen, um unsere SHANGRILA wieder instand zu setzen und neu auszurüsten."

"Lieber Kuno", hub ich an, als wir im Gespräch zu diesem Punkt kamen. "Du weißt wie sehr ich dich schätze und wie gerne ich mit dir plaudere. Jetzt aber mal ganz ehrlich und unter Freunden: wieviel ist wahr an dem, was du geschrieben hast und wieviel - nun ja - fein gesponnenes Seemannsgarn?"

"Udo - nichts erfunden, nichts erlogen, alles wahr", lacht er, zieht dabei aber die Augenbrauen hoch und kneift die Augen zusammen. "Natürlich habe ich alles so erzählt wie man's gerne liest. Die Geschichte vom Sepp Burri zum Beispiel. Der war mehr oder weniger so. Und wie der sich mit seinem Esel Rosinante durchs unwegsame Gelände an der Nordküste des Golfes gewagt hat, auf der Suche nach einem Karawanenweg, der in seiner funkelnagelneuen Schweizer Landkarte eingezeichnet war, aber natürlich niemals - bis heute nicht - existiert, mit nichts anderem unterwegs als mit einem Dreiliter- Holzkrug fürÕs Wasser, und Brot, Oliven und Tomaten als Proviant, das war schon was...".

Ich blättere durch die Seiten des verschlissenen Buches und finde auf Seite 99 ein Foto mit Fischerbooten und der Unterschrift: Die fischreichste Küste des ganzen Mittelmeeres gehört der Türkei. Die Mannschaft zweier Boote fängt innerhalb einer Stunde bis zu sechs Tonnen Fisch. "Kuno, das kann doch nicht wahr gewesen sein!" Doch, sagt er, das war so. Und die Fischer von Bodrum haben nachts ihre Beute den Fischern von Kos auf offenem Meer verkauft,"und alle habten davon provitiert."

Unter einem Bild von einem gewaltigen Hai steht: Die Haie sind wohlgenährt und harmlos. Dazu Kuno: "Die hatten überall leichte Beute, es gab genügend Fisch. Ich hab' in all den Jahren nie vom Angriff eines Hais auf einen Schwimmer oder Taucher gehört. Die waren einfach satt. Deshalb war es ja so Dalyanmündungschwer, einen Hai für Peggys Wette anzulocken. Wir mussten tricksen, um das Foto schie§en zu können." Ich erinnere mich und lache. "Schade, dass es das Buch nicht mehr gibt. Man müsste eine Neuauflage drucken." Als ich dies sage, blitzen seine Augen türkisfarben in der schrägen Nachmittagssonne. "Udo, wenn du das schaffst, kriegst du eins umsonst!"

Am erstaunlichsten ist, sage ich, was du über dieses "gottverlassene Nest am Rande der Welt" geschrieben hast. Heute hat Bodrum einen der modernen Flughafen, im Sommer sind über 300.000 Menschen auf der Halbinsel und in den Diskos und Bars wird gehämmert und getobt, als solle die Welt aus den Angeln gehoben werden. Kuno nickt. Er war 1990 das letzte Mal in Bodrum und kannte sich nicht mehr au "Wäre nicht das Kreuzritterkastell, ich hätte gedacht auf einem anderen Stern zu sein. Unsere Zeit ist vorbei...", sagt er leise. Sehnsucht hat er keine, das Leben geht weiter, sagt er. "Hier am Fluss ist es noch auszuhalten." Notfalls will er das Boot in einen stillen Winkel des Sülüngür-Sees hinter dem Südostende des Schildkörtenstrandes verlegen.

Ob Lili das denn so ohne weiteres mitmache, will ich wissen. "Ach Lili", seufzt er. "Sie hat sich an Land eingerichtet. Ein Haus mit Blumendschungel, fünf Katzen, zehn Hunde". Als er aufbricht, um sie zu holen, tut er dies mit spürbarem Widerstand und kommt prompt ohne sie zurück. "Sie ist zum Strand", so seine Ausrede. Insgeheim habe ich das Gefühl, das ehemalige Fotomodell Lili will sich nicht von mir fotografieren lassen. Zu lang ist alles her. Aber Kunos Begeisterung für seine Frau ist ungebremst. "Unsere Hochzeitsreise hat 20 Jahre gedauert", lacht er. Auf meine Frage, ob sie denn niemals protestiert habe, bei all den Strapzen und haarstreubenden Abenteuern, sagt er: "Doch! Aber sie hat eben auch Vertrauen zu mir gehabt, ich war schlie§lich kein Anfänger. Ich habe sie, glaube ich, nur ein einziges Mal angefaucht, am Peloponnes, als wir bei Windstille auf die Felsen zutrieben." Lili sei die beste Partnerin gewesen, die er sich wünschen konnte. Sie habe nicht nur mitgemacht, sondern selbst eine gro§e Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer mitgebracht. Im Laufe der Jahre habe sich das natürlich alles geändert.

Seit sie 1965 zum ersten Mal hier waren, hat sich auch das Leben im Dorf Dalyan verändert. Er beklagt sich über die viel zu vielen Touristen, die in diesem einmaligen Biotop alles kaputtmachen. Einfach dadurch, dass sie da sind. 1986 gab es in Dalykanköy 233 Fremdenbetten. Jetzt sind es über zehntausend, die im letzten Jahr im Schnitt nur zu 20% belegt waren. In diesem Jahr werden es noch weniger sein. "Aber lass mal ein "gutes" Jahr kommen, mit einer 60%igen Auslastung. Dann geht hier alles vor die Binsen." Das Schilf wächst durch die Überdüngung sowieso viel zu schnell, schießt ins Kraut gewissermaßen. Im Juni verbrennt es dann zu Stroh und ist im Juli tot.
Caretta caretta
"Vor vier Jahren gab es hier unmittelbar an meinem Boot noch vier gro§e, vom Aussterben bedrohte Nilschildkröten (Trionyx triunguis). Übriggeblieben ist eine einzige, die jüngste und kleinste." Die Boote sind alle übermotorisiert und fahren zu schnell. Der Fluss ist überdüngt. "Die Biomasse Mensch ist unermüdlich damit beschäftigt sich selbst zu vernichten." Mir fällt ein Zitat von Enzensberger ein: Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet. Er nickt. "Genau so ist es."

Kuno Steuben und seine Frau Lili haben sich auch für die Sache der Schildkröten engagiert. Nachdem sie 1974 in Sansibar ein Zentrum für Sporttaucher gegründet und sich für das Hai-Markierungsprogramm im Atlantik eingesetzt hatten (die gefangenen Haie wurden gekennzeichnet und wieder frei gelassen, um ihre Wanderwege zu erkunden), erfuhren Lili und Kuno 1985, dass in Dalyan an der türkischen Küste ein Nationalpark für Öko-Tourismus entstehen sollte. Spontan beschlossen sie mitzumachen und das Projekt durch Presseberichte, ein Buch und TV-Filme zu begleiten. Sie kehrten in die Türkei zurück und ließen sich in Dalyan nieder. Als 1987 der Bau eines Gro§hotels am Strand von Iztuzu bei Dalyan durch türkische und internationale Umweltorganisationen verhindert wurde, um den Caretta-Meeresschildkröten ihre angestammten Eierlegeplätze zu erhalten, waren Kuno und Lili an vorderster Front dabei.

Nach der erfolgreichen Anti-Hotel-Kampagne wurden 385 Quadratkilometer der Region Dalyan-Köycegiz nach internationalen Richtlinien zum Schutzgebiet erklärt. Der Sülüngür-See sollte mit allen Schilflabyrinthen als Vogelbrutgebiet propagiert werden. "Leider konnten die geplanten Ma§nahmen nur zum Teil realisiert werden", erklärt Kuno in amtlichem Ton, die Behörden nachahmend, deren Freund er nicht ist. Aber immerhin bekam er die Sondergenehmigung sein Boot als schwimmende Beobachtungsstation im Sülüngür-See zu verankern, mit dem Ziel die Wiederansiedlung abgezogener Vogelarten zu dokumentieren.

Kuno holt umständlich eine Bildmappe hervor und schlägt eine Seite mit Flamingos auf. "Andalusien" sage ich, "Guadalquivir!?" - "Nein", hustet er und drückt die siebte birinci aus, "Sülüngür-See". Leider sei der zu tief für die stelzenden Flamingo "Die sind hier nur auf der Durchreise."

"Dalyan bedeutet Fischfalle", erklärt er. Im See und Delta gab es früher jede Menge Fisch. Durch Überfischung ist der Bestand stark reduziert. Meeräschen werden auf dem Weg zum Laichen in stationären Drahtgitterreusen gefangen. Ihr Rogen wird herausgeschnitten und als "Kaviar" verkauft. "Schmeckt nicht besonders, verkauft sich aber gut, weil als Aphrodisikum gepriesen", schmunzelt Kuno. Er hat 1973 ein Buch über Haie und Großfische veröffentlicht und gilt unter Tauchveteranen als einer der ersten deutschen Sporttaucher, der auch was von Fischen versteht.

1966 war die Welt noch in Ordnung. Da stiegen Lili und Kuno kurzerhand von der 10 Meter langen SHANGRILA auf den nur vier Meter langen Katamaran UNIKAT (20 cm Tiefgang) und segelten von Izmir bis Manavgat im Golf von Antalya die Küste hinunter. Die Flüsse mit ihren vorgelagerten Sandbarren, die Lagunen und die fast verlandeten antiken Hafenbuchten sollten erkundet werden und gaben den Ausschlag für die Anschaffung des kleinen Katamraran Kommentar von Kuno zum Zweirumpfboot: er glich unseren früheren Booten nur in einer Eigenschaft - er schwamm.

Tagsüber segelten und fischten sie. Abends schoben sie ihr Gefährt auf den Strand. Nachts ging Kuno auf Wildschweinjagd - das Gewehr hatte er, wie alle Fischer damals, immer dabei. So legten sie über 800 sm zurück. "Vergessene Küste Kleinasien - Entdeckungsreise im Katamaran" hie§ der 4-Teiler, der ab Ausgabe 9/1967 in der YACHT erschien.

Kunos BootDarin schrieb er: Die Küste zwischen Izmir und Iskerderun ist nicht nur die unbekannteste, sondern auch die verschieden- und fremdartigste, wild- und fischreichste, unberührteste und schönste Küste des Mittelmeeres... Und: Yachten sind selten, selbst Fischerboote seltener als an allen anderen Mittelmeerküsten ... und dementsprechend auch die Chartermöglichkeiten. In der Türkei stehen insgesamt nur etwa ein Dutzend Yachten zur Verfügung.

Über den Gökova-Golf: Kein Reisebüro der Welt würde es wagen, jemanden hierher zu schicken. Er berichtet von der großen landschaftlichen Schönheit des Golfes, von zahlreichen antiken Ruinen und von Leoparden, Bären, Luchsen, Schakalen, Wölfen, Hyänen, Hirschen und unzähligen Wildschweinen. Und von der großen Einsamkeit und Weltabgeschiedenheit. Was für Zeiten waren das!

Am Spätnachmittag holt mich Yüksel vom Steg neben Kunos Boot ab. Kuno steht gro§ neben seinem überhohen Deckshaus und winkt. "Komm mal wieder vorbei!" Ich nicke und winke zurück. Wenige Augenblicke später verschwindet er hinter der Krümmung des Flusses.

Ach Kuno.

*) Abenteuer mit SHANGRILA, Ullstein-Verlag, 1964 (nur noch antiquarisch bei http://www.zvab.com)


PS. Kuno S. Steuben ist 2004 in Dalyan gestorben

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