Der Insider
Haruns Paradise: Ein ganz besonderer Platz in Istanbul
von Andreas Fritsch
31.03.2016

Der türkische Holzboot-Fan Rifat Edin hat sich selbst in der Nähe von Istanbul einen faszinierenden Rückzugsort gebaut: „Haruns Paradise“ , eine Mischung aus Segelclub, Hotel, Restaurant und vor allem aber eine Huldigung an den türkischen und europäischen Holzbootbau. Ein Platz für alle, die alte Yachten lieben und eine nostalgische Ader haben.


Ich lernte Rifat Edin durch Zufall über einen gemeinsamen Freund kennen. Er riet mir, dringend einmal diesen Mann zu besuchen, er sei auf jeden Fall einen Artikel in der YACHT wert. Anlass war, dass er die älteste Yacht an der Türkischen Küste segelt, die „Kanat“, über die ich hier (klick) schon einmal im Insider berichtet hatte.

Nach dem ersten Kontakt lud mich Rifat ein, ihn und seine Boote zu besuchen. Es stellte sich heraus, dass er mehr als ein Dutzend Boote aller möglichen Baujahre und Typs sein eigen nannte. So trafen wir uns in seinem ganz eigenen kleinen Paradies „Haruns Paradise“ - kleine Diaschau hier.

Mit dem Namen hat es so seine Bewandtnis. „Es ist eine Hommage an Harun Ülmann, den ersten Türken, der als Segler an den Olympischen Spielen teilgenommen hat“, erklärt Edin. Ülmann startete 1936 im Starboot vor Kiel und belegte den achten Platz. „Aber er war mehr als nur ein großer Sportler, er konstruierte auch viele Yachten. Unser Herreshoff!“, sagt der Herr des Hauses gut gelaunt und führt den Besucher in ein Reich, das jeden Segler sofort in seinen Bann ziehen muss.

Überall bleibt das Auge an wie zufällig abgestellten Nautiquitäten hängen. Hier ein Tisch aus einem mächtigen Ruderblatt, dort die wunderschöne Bilgenpumpe eines Rahseglers, Teile eines mächtigen Spantengerüsts, Ruderriemen als Dach einer Pergola – man kommt aus dem Staunen kaum heraus.


Nicht nur Fragmente stapeln sich auf dem Anwesen, auch ganze Klassiker: ein marodes Starboot etwa, eine schlanke skandinavische Elf-Meter-Yacht mit leicht desolatem Heckspiegel und dazu eine Ansammlung von 12-Fuß-Dinghies, goldgelb-glänzend wie Bernsteine. Drei liegen kieloben auf Böcken, vier übereinander gestapelt, ein paar dümpeln am Steg. Alle sehen sie aus wie aus dem Ei gepellt.

Eingerahmt wird das Ganze von einem kleinen Park, der mit schlichten Häuschen durchsetzt ist. In ihnen finden sich hübsche Zimmer, jedes liebevoll und auf ganz eigene Art gestaltet. Am Ende des Areals ein Strand mit Steg, Terrasse, Restaurant und Bar. Es ist eine skurrile Mischung aus Segelclub, Bootslager, Trödelladen, Schifffahrtsmuseum und Hotel – ein wahres Dorado für jeden Wassersportler.

Aber nicht nur das. „Haruns Paradise“ ist zugleich die Schaltzentrale für einen kühnen Plan. Denn der Hausherr hat hier Großes vor: „Mein Traum ist, wieder schöne Holzyachten und Dingis vor dem Bosporus segeln zu sehen, wie es vor einhundert, zweihundert Jahren Alltag war“, sagt Edin voller Begeisterung. „Das Land hat sein historisches Erbe im Yachtsport aus den Augen verloren, wir müssen es zurück in die Köpfe der Leute bringen!“

Für diesen Plan tut der 57-Jährige alles. Er gründete mit Gleichgesinnten den Interessenverband für Freunde klassischer Holzyachten „Kayik“, kauft im ganzen Land alte Schiffe auf, die zu verfallen drohen, und belebt traditionelle Bootsklassen – ein Getriebener seiner eigenen Leidenschaft. Und so entstand der Plan: Er will der Türkei helfen, sich auf seine nautischen Wurzeln zu besinnen. Dafür musste ein Anfang gemacht werden. Edin kauft sich ein historisches 12-Fuß-Dinghy, fliegt zu einer Regatta nach Portofino und geht in einem 100-Boote-Feld an den Start, um Jolle und Klasse kennenzulernen. Das Ergebnis war wenig ermutigend: „Ich wurde Letzter!“ Vier Jahre brauche es, bis er halbwegs mithalten könne, prophezeien ihm die Italiener. „Ich habe sie ausgelacht. Dann hat es aber doch fast genauso lange gedauert“, erzählt der Unermüdliche heute schmunzelnd.


Sein Entwicklungsprogramm sieht wie ein Masterplan aus: Insgesamt lässt er 17 Boote klassenkonform nach den Einheitsplänen bauen. Die Segler dafür sucht und fördert er auch jetzt noch. Immer vor Augen das Ziel einer Flotte, die auf dem Bosporus segelt wie in den alten Zeiten, an die ihn Zeichnungen und frühe Fotografien erinnern.

Weil sich der See in der Clubanlage als zu klein erweist, gründet er in „Haruns Paradise“, dem einstigen Sommersitz seiner Familie, bald den Tuzla Yacht Club und veranstaltet dort eigene Wettfahrten. Mittlerweile ist sein Heimathafen fester Bestandteil der internationalen 12-Fuß-Dinghy-Serie der George Cockshott Regatta. Er selbst startet auch im Ausland bei Rennen, sogar in Deutschland. „Aber meine eigene Veranstaltung ist der Höhepunkt jeden Jahres für mich.“

Und so ist „Haruns Paradise“ nicht nur eine Keimzelle für junge Segeltalente und die Liebe zu alten Holzbooten. Hier warten so manche Schmuckstücke auf ihre Rettung. Mal ein paar Monate nur, mal länger. So rückt Edins Traum von der Holzbootflotte auf dem Bosporus langsam immer näher. Harun Ülmann hätte es wohl gefreut, den Namenspatron im Segler-Paradies. Und wer weiß, vielleicht gelingt ja eines Tages sogar, worauf die Türken seit 1936 warten: eine Olympiamedaille im Segeln.

Wer sich für einen Besuch interessiert, findet hier mehr Infos: www.harunsparadise.net


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